Ernsthaft über den Tod zu sprechen ist sehr schwierig. Die außergewöhnlichen Anforderungen beginnen mit der Notwendigkeit, den richtigen Ton zu treffen. Den menschlichen Tod thematisieren bedeutet, das menschliche Leben in seiner Ganzheit auf eine bestimmte, ganz spezifische Art "bewerten". Das Delikate dieser Situation liegt darin, dass die Gravität des Themas "Totalität des Lebens" mit der Subtilität des bewertenden Urteilens zusammenkommen muss. Auf welche Weise, nach welchem Maßstab, nach welchen Denkkategorien wird hier "gewogen" und entschieden? Was ist das für eine Entscheidung und was für ein Werten?
Die Gravität, die Subtilität und der entsprechende Ton der Rede über den Tod werden von arteigener Schärfe und Intensität der Situation gefordert. Du musst einfach deine Stellungnahme abgeben, egal wie klug, gebildet, scharfsinnig, mutig oder willig du dafür bist. Jeder Entzug ist ein Scheinentzug. Wenn nicht offen und ausdrücklich, entscheiden wir in dieser Materie heimlich und stillschweigend, und radikal.
Das Thema Tod ist ein durch und durch "persönliches". Jeder von uns ist in dieser Frage für sich Experte. Keiner lässt sich in Wirklichkeit darüber belehren. Man hört den anderen höchstens zu, wie sie sich äußern; man ist aber im Tiefsten nicht bereit, jenen die Kompetenz in der meinen Frage zuzugestehen. Der öffentliche Diskurs über den Tod ist für niemanden der wesentliche.
Das kommt von der Natur der Sache her. Diese macht es unmöglich, hier eine "Position" zu übernehmen und dann eventuell zu "vertreten". Solche Bewertung des Lebens in seiner Ganzheit, welche die Einstellung zum eigenen Tod einschließt, muss von jedem persönlich verantwortet werden. Diese Verantwortung kann nicht an einen Zweiten und an keine Instanz delegiert werden.
Verantwortung meint eine Antwort. Auf was? Auf das, was in dieser Ganzheit meines persönlichen Lebens mich an-spricht. Das Ansprechen artikuliert sich auf die Weise, dass mein eigenes Sterben zum Problem wird.
In solcher Haltung von Antworten als Verantworten, das ein Ent-sprechen einem An-sprechen ist – was ist hier das Erfragte? Wie formuliert sich in ihrer genuin eigenen Art die Frage, die das eigene Sterben zum Problem macht? Kurz: Wonach fragt die Frage nach dem Tod in ihrer "ursprünglichen Fraglichkeit"?
Die erste "Regung" und Reaktion auf das Phänomen des eigenen Sterbens ist, "sich umzuschauen", ob dem doch nicht zu entgehen ist. Irgendwie. Sinnvoll hin, sinnhaft her, samt aller Sinnthematik, allen Problemen und aller Fragerei – ich will einfach nicht sterben! Gibt es denn nirgendwo eine Hoffnung auf Rettung?
So eindringlich und wahrhaftig berechtigt dies ist – darum geht es in der SINNphilosophie nicht. Würde man diesem Ruf folgen, würde man sich von einem Wunsch beziehungsweise Verlangen leiten lassen. Und das ist nicht der Leitfaden des philosophischen Sinndenkens.
Wo sieht die SINNphilosophische Praxis den Kern der Thematik? Der thematische Kontext der nachfolgenden Bemerkungen ist durch die Stichworte Sinnperspektive und Zukunftsgestaltung gegeben. Es geht uns daher in erster Linie um die Einstellung zum eigenen Sterben aus der Mitte des sich vollziehenden persönlichen Lebens heraus. Unsere Intention ist, diese Gegebenheit vom Sinnphänomen her zu verstehen. Sie setzt sich damit von zwei anderen Thematisierungsmöglichkeiten des eigenen Sterbens ab:
1. dem biologisch beziehungsweise biologistisch verstandenen Sterben: als Ende einer Prozesskette von Veränderungen und Wechsel der Lebensformen.
Der Tod ist hier zwar ein Thema und möglicherweise ein Problem, aber nicht "an sich" und "von Natur aus". Die Natur hat mit dem Sterben kein Problem. Und auch wir, wenn wir uns auf unsere eigene Natur besinnen – mag man denken –, werden alles "in Ordnung" finden. Nicht in Ordnung kann lediglich unsere Einstellung sein. Wenn es Probleme mit dem eigenen Tod gibt, dann sind das psychische Probleme, die psychologisch oder psychotherapeutisch zu behandeln sind.
2. dem religiös oder quasireligiös erfahrenen und verstandenen Sterben: als Charakteristikum der Endlichkeit, Konsequenz eines metaphysischen Verschuldens, Befreiung aus der Unfreiheit unserer gebrochenen (armseligen, unvollkommenen, brüchigen, fehlerhaften) Natur und Übergang zum – teils verdienten, vor allem geschenkten – ewigen Glück.
Gibt es in diesem Zusammenhang eine genuine Todesproblematik? Es scheint nicht so zu sein. Letzten Endes handelt es sich um Errettung. Die eventuellen Probleme werden eher zu Glaubensproblemen. Das Phänomen des Sterbens als solches wird in seinem mysteriösen und ominösen Charakterzug grundsätzlich in Ruhe gelassen.
Worin besteht also dasjenige, wonach in der Frage nach dem Tod entscheidend gefragt wird? Für die hier vertretene SINNphilosophie gestaltet sich diese Frage dreistufig und nach der
Unterscheidung zwischen "sinnvoll" und "sinnhaft" – die sich in negativer Form als der Unterschied von "sinnlos" und "absurd" ausgibt.
(*) Erste Stufe – die Anfangsfrage
Die Anfangsfrage nach dem Tod lautet: Wie steht es um das Weiterleben nach dem Sterben – "lebt" man als dieselbe Person, die man jetzt ist, in irgendeiner Form weiter?
Diese Frage ist im Wesentlichen etwas anderes als ein Ausdruck des "Wunsches" nach dem Weiterleben. Natürlich geht sie mit einem solchen Wunsch zusammen, bezeichnet aber eine andere "Gegebenheit". Das merkt man zum Beispiel daran, dass streng genommen vom Weiterleben "der Person", nicht "meiner eigenen Person" gesprochen wird. Trotzdem ist das meine zutiefst persönliche Frage. Sie betrifft meine eigenste Angelegenheit. Es handelt sich also auch nicht um eine Denkoperation der Verallgemeinerung, in der (1) ein universaler Blick auf alle möglichen Personen, (2) eine altruistische Haltung sowie (3) ein Verlangen nach eigener Unsterblichkeit – diese drei zusammen – die universale Sinnfrage bezüglich des Todes ergeben würden.
Der Standpunkt, von dem aus die so formulierte Frage gestellt wird, befindet sich nicht im Bereich des Phänomens des "Verlangens", sondern in dem des rationalen Verstehens. Es wird nicht gefragt, wie wir uns angesichts des Todes "fühlen", sondern wie so etwas wie menschlicher Tod zu "verstehen" ist.
Die auf diese Art und mit diesem Inhalt gestellte Frage hat ihren eigenen "Grund". Mit ihr drückt sich eine – vielleicht noch vage, aber doch "gewaltige" – Überzeugung aus: Wenn alles mit dem Tod zu Ende wäre, dann wäre das menschliche Leben im Ganzen sinnlos. Warum bloß "wäre" und nicht "ist"? Offenbar weil das "ist" jener Überzeugung "irgendwie" nicht entspricht. Denn: Kann das menschliche Leben in seiner Ganzheit und als solches überhaupt sinnlos sein? Kann das menschliche Leben im Ganzen, als sinnlos aufgefasst, noch als "verstanden" bezeichnet werden? Übt man hier nicht einen Verzicht auf das Verstehen selbst aus? Dieser "Überzeugung" nachgehend gelangen wir in die folgende Situation: Wenn es sinnlos wäre, es aber nicht sein kann, dann richtet sich der "Verdacht" gegen die Prämisse. Die Aufmerksamkeit wendet sich so dem Nachfragen zu, ob die Vorstellung über den Tod – dass er das radikale Ende bedeute – vom rein rationalen Standpunkt aus stichhaltig ist. Empirisch solches radikale Ende festzustellen, ist ausgeschlossen, weil es von niemandem, der gestorben ist, bezeugt werden kann. Der Tod als radikales Ende kann nur "gedacht" werden. Auf seine Denkbarkeit kommt es an. Ist "Sinnlosigkeit" von irgendetwas einfach gegeben, oder ist sie vielmehr als eine Erscheinungsform von etwas ihr Zugrundeliegendem anzusehen? Damit geht die Anfangsfrage nach dem Tod in ihre Grundfrage über.
(**) Zweite Stufe – die Grundfrage
Auf dieser Stufe ein und derselben Frage nach dem Tod geht es nicht mehr um die Thematik des Sinnvollen beziehungsweise Sinnlosen, sondern um das Phänomen der Sinnhaftigkeit. Das Sinnvolle setzt das Sinnhafte als seinen Grund voraus. Sinnvoll besagt "im Prinzip" "voller Sinn". "Im Konkreten" meint es "voller Sinnhaftigkeit". Sinnlos besagt demzufolge "leer des Sinnes beziehungsweise der Sinnhaftigkeit". Sinnlos meint: Es lässt sich in den faktischen unmittelbaren Gegebenheiten des Lebens kein Bezug zur Sinnhaftigkeit wahrnehmen. Das Sinnvollsein dieser konkreten Gegebenheit wird in Frage gestellt. Was aber nicht in Frage gestellt werden kann, ist der Sinn selbst und die Sinnhaftigkeit als solche. Das geht deshalb nicht, weil die Frage nach dem Sinnvollen gerade im Namen des Sinnes gestellt wird. Sinn und Sinnhaftigkeit machen die "Natur" des "Verstehens" mit aus, welches hier am Werk ist und worin sich jene Frage als Frage bewegt, woher sie kommt und wodurch sie motiviert wird.
Das Sinnlose, das Sinnwidrige und das Absurde begegnen uns immer als ein "Faktum", das heißt als etwas Konkretes in einem Leben, indem vom Standpunkt des Sinnes auf das Ganze des Lebens geblickt und darüber geurteilt wird. Der Ausdruck "das Ganze" kann hier zweierlei bedeuten: einmal das Gezählte und Summarische, zum anderen "das Eine". Das vorher Durchgegangene, Gezählte und Summierte, also dasjenige, worüber man eine "Bilanz" macht – und worüber man möglicherweise den Satz "Es hat sich nicht gelohnt!" sagen muss –, kann als "das eine Leben" noch einmal zum Urteilsgegenstand werden. Die Frage ist dann nicht danach, wie es war (wie viele und welche Ereignisse). Sondern sie lautet: Was war das eigentlich? Worum ging es überhaupt? Worauf kam es dabei letzten Endes an?
Ich bezeichne sie als "Grundfrage". Sie betrifft eigentlich nicht den Tod, sondern das Leben. Das Verständnis des menschlichen Lebens ist nicht vom Verständnis des Todesphänomens abhängig zu machen, vielmehr umgekehrt. Wie und als was der Tod aufzufassen und zu deuten ist – die Frage nach dem Weiterleben eingeschlossen –, entscheidet sich auf der Basis der Antwort auf die "Grundfrage" nach dem Leben.
Entscheidend in diesem Räsonnement ist, dass Sinn und Sinnhaftigkeit als solche nicht dasjenige darstellen, worüber, sondern wonach geurteilt wird. Geurteilt wird über konkrete Fakten und konkrete Vorkommnisse im Leben, die in ihrer summarischen Ganzheit im Augenblick des Todes (des realen oder antizipierten) vor die eigenen Augen treten. Wenn jetzt das eigene Leben als "das eine Leben" "verstanden" werden will, dann scheint es dafür nur eine Möglichkeit der Art und Weise des ihm allein angemessenen Verstehens zu geben: wo der Sinn das Licht – um "überhaupt wahrzunehmen" – und den Inhalt – um "das, worum es geht, überhaupt mitzubekommen" – in einem darstellt.
Im "Licht" solchen Phänomens des Verstehens zu sagen, "das ganze Leben erscheint mir als sinnlos", kann mit der Aussage gleichgesetzt werden: "Ich sehe in diesem Leben nicht das dargestellt (repräsentiert), was sich mir als Verstehhaftes zeigt – das, was die Namen Sinn und Sinnhaftigkeit trägt. Ich erkenne die Sinnhaftigkeit in diesen und jenen Vorkommnissen meines Lebens nicht wieder". Hinter diese Verstehhaftigkeit kann man nicht zurück. Ein als sinnlos empfundenes Leben kann den Sinn als solchen nicht in Frage stellen. Im Moment des ansetzenden reflexiven Verstehens geht solches Empfinden in ein anderes als seinen Grund über: in das Empfinden des Sinnhaften, das das Empfinden des Sinnlosen erst ermöglicht. Das menschliche personhafte Leben, das als solches und in seiner Ganzheit sinnlos wäre, ist vom Standpunkt des Sinnes aus nicht denkbar, da dieses Leben sich als Geschehen der Sinnhaftigkeit vollzieht, das heißt sich so selbstkonstituiert. Weil wir, Menschen als Personen, das Sinnhafte sind, kann unser menschliches Leben nicht sinnlos sein.
Die Verstehhaftigkeit des Lebens ist die Sinnverstehhaftigkeit, das heißt der Sinn als solcher und die Sinnhaftigkeit des Konkreten. Das menschliche Leben versteht sich im Licht des Sinnes und lebt sich als der schlechthinnige Sinninhalt. Hier scheint der "Ursprungsort" der Frage nach dem menschlichen Tod zu liegen.
(***) Dritte Stufe - die Ursprungsfrage
Die Ursprungsfrage lautet, aus meiner Sicht: Was soll der Tod im Sinnleben? In eine Sinnperspektive eintretend zeigt sich der Tod des Menschen als das Absurde par excellence. Noch bevor die Fragen, wie es dazu komme und wer der Verursacher sei, gestellt werden – die Tatsache selbst, dass es dazu kommt, allein schon dass es dazu kommen kann: das ist, vom genuin Menschlichen aus gesehen, eine Absurdität.
Unter Absurdem verstehe ich ein Grundphänomen im menschlichen Leben, das das Gegenteil vom Sinn schlechthin darstellt. Es hat einen genuin eigenen Inhalt, der in der Lebenserfahrung vorgefunden wird. Dieser Inhalt ist, von sich selbst aus, in einer phänomenologischen Beschreibung zur begrifflichen Klarheit zu heben. Er darf nicht bloß durch die Entgegensetzung zum Sinn festgehalten werden. Zum Zweck der Kontrastierung und weil der Sinn unser eigentliches Thema ist, seien die drei vorher genannten Sinndimensionen – das Schöne, die Liebe, die Person – kurz in Betracht gezogen:
1. Die Absurdität des Todes im Hinblick auf das Schöne
Der Tod ist für die menschliche Person – für den Sterbenden selbst und für die Betroffenen – ein hässlicher, abscheulicher und brutaler Schmerz.
2. Die Absurdität des Todes im Hinblick auf das Lieben
Wäre nicht nur der Tötende, sondern auch der Tod selbst vor einem menschlichen Gericht anklagbar, würde er sofort die Höchststrafe bekommen. Aus der Sicht des sterbenden Menschen betrachtet ist der Tod als Tod "das" ihm zugefügte Unrecht. Er stellt ein Geschehen dar, das voll gegen die Menschenwürde gerichtet ist.
3. Die Absurdität des Todes im Hinblick auf die Person
Einer der entscheidenden Wesenszüge der Absurdität besteht im Nicht-Personhaften. Das Absurde trifft die Person und ist selbst "unpersönlich". Dieses Treffen bedeutet nicht irgendein "Betreffen" in neutraler Bedeutung. Es meint so etwas wie ein Ansprechen im Negativen. Wir werden "angesprochen", tangiert und irgendwie "aufgerufen". Darin liegt das Eigentümliche des Phänomens des Absurden: angesprochen und tangiert zu sein, ohne dass das uns Tangierende selbst "ansprechbar" wäre. Wir sagten schon: für die Verübung des Todes gibt es die Höchststrafe, für den Tod selbst nicht. Weil sich mit dem Geschehen des Sterbens nicht kommunizieren lässt.
Wie verhalten wir uns gegenüber dem Tod als solchen? Wie können wir uns zu dem eigenen Tod verhalten in unserer Zukunftsgestaltung?
Zu dem Absurden, welches der Tod auf eminente Weise darstellt, können wir uns – so scheint es – überhaupt nicht verhalten. Wir vollziehen unser Sinnleben in dieser entscheidenden Hinsicht so, als ob es den Tod nicht gäbe. Das bedeutet, nach allem dazu Gesagten, kein Augenschließen vor etwas Unerträglichem, sondern das pure Gegenteil davon. Es besagt, dem Ungeheuer dieser Absurdität frontal zu begegnen, es herauszufordern, zu zeigen, was für "Wahrheit" da anzutreffen ist, welch Verstehhaftes es zu bieten hat. Das Ungeheuer bricht zusammen. Es hat "rational" nichts zu bieten. Die verständnismäßig einzig angemessene Einstellung zu ihm scheint die zu sein, die man jeder Art von Absurdität entgegenbringt: es einkreisen und wachen, damit es am genuin menschlichen Leben nicht teilnimmt.
Es ist auffallend, dass wir spontan tatsächlich in dieser Tendenz leben. Eine Zukunftsgestaltung in der Sinnperspektive kann, von der Natur der Sache her, den "Faktor Tod" nicht so einbeziehen, dass er sich "gestaltend" auswirken könnte. In dieser Hinsicht bleibt der Tod wirklich "tot", wie jede Form des Absurden.